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lorscher codex

was tat irminrat am 30. märz 806?

18 | 03 | 2006
Welcher Teufel hat die adelige Frau Irminrat damals geritten, als sie Auheim dem Kloster Lorsch schenkte? War sie von allen guten Geistern verlassen? War es ein hinterlistiger Ablaßhandel oder ein heimtückisches Haustürgeschäft? Hat sie Auheim eiskalt verscherbelt oder im Suff verzockt? Ganz gleich, was die edle Irminrat damals in ihrem wohl etwas verwirrten Sinn gehabt haben mag: ihr verdanken wir Großauheimer unsere diesjährige Jubiläumsfeier.
Denn durch die Beurkundung ihrer Schenkung im „Lorscher Kodex“ vor 1200 Jahren wurde erstmals die Existenz Auheims dokumentiert. Natürlich stellte Auheim schon damals etwas dar: seine Einwohner hielten seit je her ihre Köpfe bewegt und ihre Buden in Schuß. Sonst hätten die Lorscher Klosterherren das Geschenk sicherlich dankend abgelehnt. Die Äbte wußten schon, was sie da der konfusen Irminrat abknöpften! Wie anders wäre die Geschichte verlaufen, hätte ihnen ein verarmter Landadliger seine mainaufwärts liegenden Ländereien an der Kinzigmündung angeboten: Das Lorscher Kloster-Management hätte ihn samt seinen eingeborenen Urrumpeln zum Teufel gejagt. Denn der ungastliche Ort im Kinzigdelta westlich Großauheims war damals ein trostloses, ständig überflutetes Sumpfland, aus dem sich erst hunderte Jahre später Hanau erhob.
Nun, Geschichte wiederholt sich, Großauheim wechselte im Lauf der Jahrtausende mehrmals unfreiwillig den Besitzer. Letztens im Jahre 1974, als die Nachfahren der Schlammgeborenen von der Kinzig unsere damals reiche und eigenständige Stadt kaperten. Selbst der heldenhafte Widerstand seiner Einwohner konnte Großauheim nicht vor der Verstadtteilung retten. - Seither ist viel Wasser den Main hinuntergeflossen. Der Großauheimer vergißt zwar nie, aber er fügt sich dennoch ins momentan Unabänderliche. Denn es gibt ihn seit über 1200 Jahren und er hat Zeit. Aber manchmal wird seine feste Gesinnung auf eine schwere Probe gestellt: In diesen Tagen steht in der Zeitung, daß das frühere Dorf Kesselstadt im Jahr 2007 den hundertsten Jahrestag seiner Eingemeindung nach Hanau ganz groß feiern will! So etwas erschüttert die Weltanschauung eines jeden Großauheimer Fundamentalisten zutiefst. Was geht da vor, wie kann das sein? Na ja, viele der durchreisenden Hanauer Stadtbauräte nahmen während ihrer Residenz im Dörfchen am Schloß Privatquartier. Das Ambiente ihrer Nachbarschaft sollte stimmen, also  bescherten sie den Kesselstädtern eine schmucke Altstadt. Da fällt es dem Volke leicht, seinen Gönnern zu danken. Aber eine Eingemeindung feiern? Ratlos grübelt der Großauheimer und findet keine Antwort. Feiern wir doch lieber unsere Irminrat. Eine tolle Frau, die wußte, was sie tat. Zur Schenkung gezwungen, wählte sie ihre wertvollsten und widerstandsfähigsten Untertanen. Die Auheimer sind zäh und kommen immer durch, um die muß man sich keine Sorgen machen. Wenn sie ihr halbes Leben meditierend vor den geschlossenen Bahnschranken verbringen, haben sie alle Zeit der Welt. Wo ein Himalaya-Yogi schon längst dem Wahnsinn verfallen wäre, da brummt der Großauheimer nur: „Ommmm“ und wartet ergeben, bis sich für ihn die Schranken heben. Man mag Großauheimer für beschränkt halten. Aber im Gegensatz zu anderen Zeitgenossen gehen unsere Schranken immer wieder auf. Während unsere Nachbargemeinden alljährlich vom Main geflutet werden, blicken wir Großauheimer von oben durch unsere Maingassen auf den Strom herab. Panta rhei, wir lassen’s fließen. Man mag uns in unserer langen Geschichte immer mal verschenken, verraten oder verkaufen. Aber einen Großauheimer verändern - das hat noch keiner geschafft.
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